BAMBI – Eine Lebensgeschichte aus dem Walde

BAMBI – Eine Lebensgeschichte aus dem Walde

Zum 100jährigen Jubiläum des Romans von Felix Salten

Die Geschichte ist schnell zusammengefasst: Bambi, ein junger Rehbock, wächst behütet bei seiner Mutter heran. Er verliert sie auf tragische Weise und muss sich allein durch die Adoleszenz schlagen. Er wird ein stolzer junger Mann, der in die Fußstapfen seines weisen und erfahrenen, aber meist abwesenden Vaters tritt. Er verliebt sich in seine Kinderfreundin - die Ricke Faline - und bekommt mit ihr zwei Kinder…

Der österreichisch-ungarische Journalist und Autor Felix Salten schildert in seinem 1923 erschienenen Roman die reiche Vielfalt der Arten von Flora und Fauna im Lebensraum Wald. Pflanzen, aber besonders die Tiere zeichnet er höchst menschlich. Und wer ist da nicht alles anzutreffen: die Krähe, der Waldkauz, der Pirol, der Fink, die Amsel, der Specht, die Elster, der Fasan, der Häher, der Adler, die Meise, das Rotkehlchen, die Taube - um nur die Vögel zu nennen. Sie leben friedlich zusammen im Lauf der Jahreszeiten, wäre da nicht Er! Das Unheil, die Gefahr von außen.

„Bambi starrt die Gestalt an. Sie ist merkwürdig aufrecht, seltsam schmal, und sie hat ein blasses Gesicht, das an der Nase und um die Augen herum ganz nackt ist. Entsetzlich nackt. Furchtbares Grauen geht von diesem Gesicht aus. Kalter Schrecken.“

Er ist der Mensch, ein Jäger, der wahllos, hemmungslos, erbarmungslos und scheinbar sinnlos tötet. Gut und Böse sind klar definiert:

„Werden wir auch einmal böse zueinander sein?“, fragt Bambi die Mutter. Und sie antwortet: „Nein, mein Kind. Bei uns gibt es das nicht.“

Salten, selbst passionierter Jäger mit eigenem Jagdrevier außerhalb von Wien, nimmt durchgehend die Perspektive der Waldbewohner auf uns Menschen ein: „Er tötet, wen er will.“ Auch als Bambis totgeglaubter Cousin Gobo aus der Pflegschaft beim Menschen in den Wald zurückkehrt und Partei für Ihn ergreift, nimmt es kein gutes Ende, dass Gobo jede Scheu vor den Menschen verloren hat.  

„Ihr glaubt alle, daß Er böse ist. Aber Er ist nicht böse. Wenn Er jemanden lieb hat, wenn man Ihm dient, ist er gut. Wunderbar gut. Niemand in der ganzen Welt kann so gut sein wie Er…“

Gobo glaubt fortan, er müsse den Menschen nicht mehr fürchten und bezahlt die falsche Annahme mit seinem Leben.

Der Bohemien und Lebemann Felix Salten (geboren 1869 in Pest), war ein Mann von großer literarischer Produktivität. Er war Mitglied der Literatengruppe „Jung-Wien“, zu der bekannte Kollegen wie Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal und Karl Kraus gehörten. Doch anders als die großbürgerlichen Kollegen, musste sich Salten seinen (ausschweifenden) Lebensunterhalt stets verdienen. Und dies tat er (teils unter Pseudonym) sehr fleißig als Theaterkritiker, Librettist, Drehbuchautor etc..

Während der „Bambi“-Roman sich zunächst nicht gut verkaufte, erlangte die Geschichte zwanzig Jahre später Weltruhm durch die Zeichentrick-Adaption von Walt Disney 1942: „Bambi - A Great Love Story“.   

Die bestechende Klarheit mit der Salten erzählt, greift auch die Verfilmung auf; sie spart einige Nebengeschichten und -charaktere aus und konzentriert sich auf Bambi als Hauptfigur (im Film ein junger Weißwedelhirsch).

Die geschilderten Erfahrungen der unschuldigen Tiere, die der brutalen Willkür des Jägers/ von Jägern ausgesetzt sind, hat das Image von Rehen und Hirschen über Generationen geprägt. Und eine empathischere Sicht auf sie gefördert als beispielsweise auf Wildschweine. Das Reh ist zum Sympathieträger geworden, was die wildökologische Debatte durchaus emotionalisiert hat.

Über die Notwendigkeit Abschussquoten zu erhöhen, um den Tierbestand zu reduzieren, wird viel diskutiert. Die Tiere hemmen zum Teil den Fortschritt von Waldumbau und Aufforstung, der erforderlich ist, um die Wälder gegen die Klimakrise zu stärken.

Das Leben im Wald wird in „Bambi“ weder verharmlost noch beschönigt: Er herrscht auch hier das Gesetz des Stärkeren. Fressen und gefressen werden. Der Iltis tötet die Maus! Natur kann rau und herb sein. Das lernt Bambi früh.   

„Bambi“ ist ein zeitloser Roman und eine wunderbare Parabel über das Leben. Besonders eindrücklich ist eine kurze, zarte Passage in der zwei Eichenblätter im Herbst gemeinsam über das Sterben und ein mögliches Leben nach dem Tod nachdenken (und die im Film in nur einer kurzen Überblende eingefangen wird):   

Das zweite [Blatt] fragte: „Was geschieht mit uns, wenn wir abfallen…?“

„Wir sinken hinunter…“

„Was ist da unten?“

Das erste antwortete: „Ich weiß es nicht. Der eine sagt das, der andere sagt dies… aber niemand weiß es.“

Das zweite fragte: „Ob man noch etwas fühlt, ob man noch etwas von sich weiß, wenn man dort unten ist?“

Das erste erwiderte: „Wer kann das sagen? Es ist noch keines von denen, die hinunter sind, jemals zurückgekommen, um davon zu erzählen.“

Buch und Film wurden mitunter als „Anti-Jagd-Erzählung“ interpretiert, doch das wäre die falsche Lesart. Ist der Roman ein Kinderbuch? Nein. - Auch wenn er vielleicht auf den ersten Blick so erscheint und man das Buch problemlos Kindern vorlesen kann.

Felix Salten hat Bambis Lebensgeschichte weitererzählt; in der Fortsetzung: „Bambis Kinder - Eine Familie im Walde“ von 1939 - dem Jahr, als der Zweite Weltkrieg begann. Als ungarischer Jude hat Siegmund Salzmann, wie Salten ursprünglich hieß, das aufkommende antisemitische Klima in Wien Anfang des 20. Jahrhunderts erlebt und dem starken Gefühl von willkürlicher Verfolgung in seinem Roman Ausdruck verliehen.  

Rehe als Protagonisten seiner Geschichte zu wählen, die frei im Wald leben und weder Nest noch Bau haben - also im übertragenen Sinne staaten- und schutzlos sind - scheint in Saltens Allegorie kein Zufall zu sein. In Nazideutschland jedenfalls wurde das „Kinderbuch“ wegen seiner politischen Anspielungen zwischen den Zeilen und der klaren Positionierung verbrannt. Ein Buch, das vom sinnlosen Töten durch Waffengewalt handelt. Heute so aktuell wie vor 100 Jahren.  

Im Buchhandel erhältlich oder frei unter: Bambi (projekt-gutenberg.org)